Kapitel 4 – Zwei Fragmente

Zur Bekanntschaft mit der deutschen Fassung unseres Buches über den deutschen Kronprinzen

In Einsamkeit
Am 6. Mai 1919 feierte Wilhelm seinen 37. Geburtstag. Königin Wilhelmina schickte ihm mit Zustimmung der Regierung seinen Degen zurück.

Der Kronprinz schreibt in seinen Erinnerungen: Zwei Feste wehmütiger Art habe ich in diesen Maitagen feiern können: am sechsten bin ich siebenunddreißig Jahre alt geworden und habe hier in meiner Abgeschiedenheit aus lieben Briefen von den Meinen und aus zahllosen Zeichen des Gedenkens aus allen Teilen der deutschen Heimat erkennen dürfen, daß es noch Menschen gibt, die sich mir zugehörig fühlen und die keine noch so wild wütende Hetze mir entfremden konnte. Auch aus Holland und von der Insel sind mir viele rührende Zeichen der Teilnahme und Liebe zugegangen: kleine gut gemeinte Geschenke, die meinen bescheidenen Haushalt verbessern sollen – Blumen, so viele, daß die engen Zimmer der Pastorie sie kaum fassen können.

Der Prinz war gewöhn sich bei allen zu bedanken, die ihm gratulierten. Die oben abgebildete Ansichtskarte von 1920 ist ein stiller Zeuge dafür. Unter der Karte kann man die Adressseite mit Unterschrift und einigen Notizen (des Empfängers?) lesen:

Manchmal seufzt der Kronprinz in seinen Erinnerungen, dass der Aufenthalt auf der Insel für ihn schwierig ist.  Er beschwert sich über das Wetter und die Stürme, die die Insel plagen. Wüst – ohne Pause durch Tag und Nacht. Gerade daß das Fegen und das Dach der Pastorie nicht über unseren Köpfen fortgerissen hat. Wie im Großangriff ist der Winter diesmal über uns hergefallen: mit jäh hereinbrechendem Absinken der Temperatur, mit Schneetreiben uns harten Frösten und Eismassen in der Zuidersee. Schlimmer noch als der bittere erste Winter unseres Hierseins vor zwei Jahren läßt er sich an.

Jetzt machen schneidend scharfer Nordost uns schwerer Eisgang in der See die Verbindung mit dem Festlande beinahe unmöglich. Dazu ist die Telephonverbindung unterbrochen, so daß man richtig abgeschnitten ist von aller Welt.

Er erzählte einem Journalisten der Deutschen Wochenzeitung für die Niederlande, der ihn im Herbst 1921 besuchte:

Wie verbringe ich meine Zeit? Ich lese, schreibe, zeichne, treibe Sport, mache Musik und besuche wiederholt die Familien von Wieringen, für deren Angelegenheiten ich mich interessiere. Ich arbeite dreimal pro Woche in der Schmiede. Insbesondere mit den Fischern habe ich gute Beziehungen. Wenn ich mich in der Schmiedearbeit körperlich müde gemacht habe, beginne ich mit meinem oft rebellischen Verstand. Ich füttere ihn mit wissenschaftlichen Büchern aller Art, insbesondere technischen. In letzter Zeit habe ich über Kriegswissenschaften gelesen, hauptsächlich englische und französische Werke, die sich mit der Schlacht von Skagerak befassen. Die niederländische Literatur spricht mich auch an. ‘Geertje‘ von De Meester, ‘Boefje‘ von Brusse und die Romane von Couperus haben mich fasziniert. Wurden diese Bücher noch nicht ins Deutsche übersetzt?

Der Redakteur konnte ihm nicht antworten. Der Kronprinz fuhr fort: Ich lasse jetzt auch andere Werke niederländischer Schriftsteller kommen, um die niederländische Volksseele besser verstehen zu können. Ich habe im Jahrbuch Niederländisch-Ostindien über Niederländisch-Indien gelesen und mich über die allgemeine Situation durch ein Dutzend deutscher, niederländischer, englischer und französischer Zeitungen auf dem Laufenden gehalten.

Er erhielt Boxunterricht bei Profiboxer W. la Croix, der mich (…) zweimal pro Woche besucht und dann Spuren seiner Überlegenheit auf meinem Gesicht hinterlässt:

Er boxte auch regelmäßig mit Piet Peereboom, dem Sohn des Bürgermeisters. Später wurde das Katechismus Gebäude am Pfarrhaus in Oosterland speziell dafür ausgestattet. La Croix war in den Jahren 1914-1918 niederländischer Meister in verschiedenen Gewichtsklassen. Manchmal machte der Kronprinz auch eine Kanufahrt, wenn die Wetterbedingungen es erlaubten.

In der Biographie der Familie Peereboom lesen wir: Im Pfarrhaus  im Oosterland gab es ein Klavier. Er spielte oft zusammen mit der Frau von Pastor H. Bax (1867-1922), C.J.E. Bax-Sijtsma (1874-1957), die ganz passabel Klavier spielte und bei der er auch Klavierunterricht nahm. Er spielte auch Geige und hatte dafür  in Wieringen eine echte Stradivari, von der ein anderes Exemplar dieses Jahr 1,3 Millionen Gulden bei einer Auktion einbrachte. Zu dieser Zeit war dies bereits ein kostbarer Besitz. Frau J. Coumou-Karelse (1888-1968), Ehefrau des Superintendenten der Strassen- und Wasserbaubehörde W.B. Coumou (1888-1986) hatte Todesangst, als er eines Abends zu ihnen kam, um mit ihnen zu musizieren, und vergaß, die Geige mitzunehmen, als er sich verabschiedete. Außerdem spielte er außerhalb der Gottesdienste auch die Orgel der reformierten Kapelle in Den Oever, die sich heute im Zuiderzeemuseum (Freilichtmuseum) in Enkhuizen befindet.

 Pastor Bax und Frau Bax-Sijtsma

Hinter der Pastorie befand sich ein kleiner vernachlässigter Garten, und eines Tages beschloss er, Ordnung in das Gewirr von Sträuchern und Blumenbeeten zu bringen. (Err 148) (…) lehnte  ein Spaten. Mit einer heißen Arbeitslust habe ich den ergriffen und habe umzugraben begonnen. Weiter- immer weiter; bis das Kreuz mich schmerzte. Eine Befreiung von inneren Lasten sind mir die Spatenstiche dieser Stunde gewesen: Nicht in unfruchtbarem Zuwarten die Zeit bis zur Heimkehr verrinnen lassen! Nach dem Ziele der Wünsche und Sehnsucht streben – aber sich abfinden mit der Härte der Tage und sie so leben, daß auch sie erfüllt sind und in die Zukunft wirken! – Seitdem habe ich täglich in unserem kleinen Garten gearbeitet. Es ist Ordnung in ihn gekommen. Einer wird seine Früchte ernten – ich oder ein anderer.

Die Freundschaft mit Willem Coumou

Willem Egbert Coumou war unmittelbar am Bau des Afsluitdijk und anderer Zuiderzee-Werke beteiligt. Er traf den Kronprinzen in Wieringen. In „Genealogy Online“  findet  man den Stammbaum der Familie Coumou, wobei die Beziehung zum Kronprinzen besonders erwähnt wird:

Und ja, last but not least … Die Freundschaft zwischen meinem Großvater Willem und dem deutschen Kronprinzen Wilhelm während der Entwässerung des Wieringermeers war natürlich legendär. Diese beiden hatten sich vollständig gefunden, beide große Genießer und als größtes Hobby “Röcke jagen“, also den Mädchen nachrennen. Mein Opa konnte bis zu seinem Tod fantastische Geschichten darüber erzählen, natürlich nur seinen männlichen Enkeln.

Das schönste Relikt, das ich als kleiner Junge von meinem Großvater Willem bekommen habe, sind die Leder-Boxhandschuhe, mit denen er gegen seinen Freund, den deutschen Kronprinzen, geboxt  hat. Ich habe sie immer noch und sie sehen immer noch wunderschön aus. Wer zu dieser Zeit gewann, wird ewig unklar bleiben. Opa war immer hervorragend darin, starke Geschichten zu erzählen. Diese Boxhandschuhe befinden sich zusammen mit Opas Zylinder, ebenfalls aus dieser Zeit, in einer Kiste auf dem Dachboden. Es muss noch irgendwo Bilder vom Boxkampf der beiden geben, aber ich konnte sie nie wieder finden. (Geschrieben von Pim Coumou im Januar 2014)

Als der Kronprinz 1927 die Insel besuchte, wurde dieses Foto aufgenommen. Ganz links Willem Coumou. Rechts neben dem Schmied Jan Luijt ist Bürgermeister Kolff.

In Der Prinz auf Wiereland (siehe Kapitel 9) ist Willem Coumou der Mann, der das „fürstliche“ Motorrad vorstellt. In dem Roman wird er als “Klau-Blau“ bezeichnet.

Klau-Blau war Aufseher bei der Wasserbau-Verwaltung, ein lustiger, flotter junger Mensch mit heimlichen Lebemannsgewohnheiten. Er hatte ein gutes Herz und das größte Verständnis für die Lage des Prinzen. Er verschaffte ihm Karten von der ganzen Insel, er stapfte mit ihm durch dick und dünn und erzählte ihm alles, was er von Wiereland und seinen Bewohnern wissen wollte.

Klau-Blau hatte immer Zeit für ihn und wußte immer Rat. – Er sah ein, daß für den Prinzen auf der Insel nichts, aber auch gar nichts zu holen war.
“Wir müßten irgend was importieren”, schlug er vor.
“Aber was”, fragte der Prinz.
“Nun, z. B. ein Motorrad oder ein hübsches Mädel”, sagte Klau-Blau lächelnd.

In einer Zeitschrift für Motorradfans (Promotor) haben wir eine Geschichte gefunden, die von einem Experten, Jop Segers, geschrieben worden ist. Er gibt an, dass der Kronprinz Anfang 1919 einen 250 ccm Wanderer ohne Beleuchtung hatte. Das war eine preußische Marke, die zehn Jahre später mit Jawa fusionierte. Wie dieser riemengetriebene Puttler auf Wieringen landet, ist unbekannt, aber die Tatsache, dass eine Hartmetalllampe fehlt, deutet darauf hin, dass der einzelne Brenner von einer der vielen Deponien der deutschen Armee in der Nähe unserer südlichen Nachbarn stammt.

Auf dem Motorrad unternahm der Kronprinz viele Reisen über die Insel, manchmal begleitet von Willem Coumou, aber im Frühjahr 1919 ging es schief. Während einer Motorradfahrt fuhr er mit zu hoher Geschwindigkeit um eine Ecke und prallte mit voller Wucht gegen einen Zaun. Der Ex-Kronprinz erlitt einen schweren Hand- und Handgelenksbruch. Das Motorrad hatte erhebliche Schäden erlitten. Das Leben des Kronprinzen wäre in Gefahr.

Die Aussage, dass das Leben des Kronprinzen in Gefahr sei, war etwas übertrieben. Einige Tage später berichtete die Zeitung, dass die Dinge nicht so schlimm waren, der Prinz sich nur leicht die Hand verstaucht hatte.

Doch nach dem Unfall kaufte der Kronprinz einen neuen Motor, den berühmten Indianer.
Jop Segers: Dieser 998 ccm Powerplus wurde bei der Amsterdamer Niederlassung des Importeurs R.S. Stockfisch & Söhne gekauft. Das Modell, das bereits beim US-Militär und auf den Schlachtfeldern Nordfrankreichs seine Zuverlässigkeit bewiesen hat, ist ein starker Touring-Büffel. Obwohl Sie sich vielleicht fragen, ob eine solche Maschine für eine Insel geeignet ist, auf der es noch keine asphaltierten Straßen gibt und auf der Straßen und Wege nach einem Regenschauer zu unpassierbaren Schlammbecken werden. Vielleicht liegt der Grund darin, dass Wilhelm von allem schwärmt, was aus den USA kommt.

Der Kronprinz mit seinem Wanderer, Jahr 1918.

Der Kronprinz und Willem Coumou mit ihren Motoren. Der Kronprinz hatte (ab Juli 1919) die Registrierung G 9549, Coumou G 8213 (ab Januar 1919).

Er reiste auch mit Coumou und dem Bürgermeister im Begleitwagen nach Doorn. Jan Luijt ging manchmal im Wagen mit.

Als Willem Coumou im Mai 1921 nach Middelburg versetzt wurde, boten ihm die Wieringer einen Festabend an, weil er auf der Insel beliebt war. Während seines fast siebenjährigen Aufenthalts hatte er viel für die Wieringer getan, mehrere Jungen erhielten dank ihm eine Ausbildung im Rijkswaterstaat. Er und seine Frau wurden für ihre Dienste mit Reden und Geschenken gedankt. Der Kronprinz war natürlich anwesend, der im Coumou-Haus immer willkommen war und sich mit dem Paar anfreundete. Als Dankeschön für die Freundschaft und Gastfreundschaft hatte der Kronprinz ihnen eine Reproduktion eines Ölgemäldes gegeben, darstellend den auf einem Pferd sitzenden Kronprinzen, mit einer Überschrift: Als zeigen meiner Dankbarkeit für alles war Sie für mich gethan haben. Zur freundlichen Erinnerung, Wilhelm, Wieringen 1918-1921.

Nachdem Coumou gegangen war, war die Fahrt nach Doorn wieder mit dem Auto, aber es war durchaus möglich, mit ein wenig Hilfe seiner Wieringer-Freunde um in der Nähe von Doorn den Indianer zu genießen.

Der Kronprinz auf dem Indian Motorcycle vor der Schmiede von Luijt; Die Registrierungsnummer ist die gleiche wie die des Wander.

Der Kronprinz war übrigens  auch verrückt nach Harley-Davidson. Der Sohn des Importeurs berichtet  in der Zeitung seine Erinnerung: Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs importierte mein Vater eine Harley Davidson direkt aus den USA. Die Maschine war in einer Kiste verpackt und fast fahrbereit. Die Harley war für Jaap Koster gedacht, der als Vertreter des Geschäfts meines Vaters Bäcker im Norden Nordhollands bereiste. Natürlich erregte die brandneue Maschine viel Aufmerksamkeit, auch in Wieringen, wo der Ex-Kronprinz interniert war. Er fuhr einen heruntergekommenen Adler, interessierte sich aber auch für die Harley. Die Geschichte besagt, dass der Ex-Kronprinz in einer Bäckerei in Hippolytushoef nach Information gefragt hatte um herauszufinden, wann Jaap Koster nach Wieringen zurückkehren würde. Bei der Ankunft mit dem Boot folgte auf dem Steg ein Gespräch zwischen den beiden Herren, das zu einer Probefahrt des Prinzen auf der Harley führte. Es endete nicht mit dieser einen Probefahrt, denn bei jeder Gelegenheit wurde ein Motorrad gewechselt, um dem Ex-Kronprinzen seine Fahrt über Wieringen zu ermöglichen. Früher hatten wir einige Bilder davon zu Hause, aber leider sind sie nicht mehr in unserem Besitz.  THOMSEN, Bergen